Delusionship und Projektion? Dating-Phänomenen auf der Spur – Teil 5

Delusionship und Projektion: Weiter geht’s mit dem nächsten Teil zu Dating-Phänomenen, die heutzutage an der Tagesordnung stehen und damit auch in meiner psychologischen Praxis immer wieder zum Thema werden.

Was ist eine Delusionship?

Bei der Delusionship entwickeln wir starke Gefühle bis hin zur Verliebtheit für eine Person, die wir entweder gar nicht, nur flüchtig oder nur eingeschränkt (z. B. nur vom Chatten) kennen. Das kann von einer bloßen Schwärmerei (wie man sie oft im Teenager-Alter für Promis hat) bis hin zur festen Beziehung mit jemandem reichen, den man im realen Leben noch nie getroffen hat.

So entsteht eine Delusionship

Delusionships entstehen oft ähnlich: Man beginnt, sich mit jemandem online auszutauschen und sich kennenzulernen. Der Chat wird intensiv, man entwickelt Sympathie füreinander, vielleicht auch so manche Hoffnung oder Erwartung. Wie bei einem Puzzle setzen wir dabei Stück für Stück zusammen, um uns ein immer genaueres Bild vom Gegenüber zu machen – über die Art, wie er/sie schreibt, über Fotos und natürlich auch konkrete Informationen. Der Punkt ist aber: Solange es noch kein Treffen gegeben hat, bleiben bestimmte Stellen im Puzzle zwangsläufig leer. Wie ist die Ausstrahlung dieser Person? Wie läuft ein Gespräch face to face? Wie ist die sprichwörtliche Chemie? Und hier ist der Punkt, denn fehlende Informationen mag unser Gehirn gar nicht!

 

Hier beginnt unser Gehirn automatisch, die fehlenden Eindrücke über die andere Person zu ergänzen. Aber wie – denn schließlich können wir nicht hellsehen? Ganz einfach: mit eigenen Erwartungen, Vorstellungen, Wünschen und Erfahrungen. So erfinden wir unbewusst ein vermeintlich immer genaueres Bild von unserem Gegenüber (und unser Gehirn ist zufrieden), das in weiten Teilen aber nicht der Realität entspricht – eine Illusion, ein Trugbild.

 

Unser Gehirn steht nicht auf Widersprüche. Und so ergänzen wir auch fehlende Informationen über eine andere Person nicht einfach zufällig, sondern so, dass sie ein stimmiges Bild ergeben. Wenn wir jemanden dann auch noch sympathisch finden, dichten wir ihm weitere positive Eigenschaften an – wir idealisieren.

 

Das hat sich beispielsweise auch in den Corona-geprägten Jahren gezeigt, wo wir die Gesichter von Fremden oft nur zum Teil gesehen haben und die Mundpartie von einer Maske bedeckt war. Mehrere Studien haben gezeigt, dass die Gesichter von Fremden mit Maske attraktiver eingestuft wurden als ohne. Und einer der Gründe ist eben, dass wir unbekannte Informationen gerne so ergänzen, wie wir sie uns wünschen würden.

Projektion: Wenn das Gegenüber zur Leinwand wird

Ein weiterer Mechanismus, der bei Delusionships eine tragende Rolle spielt: Projektion. Von Projektion spricht man, wenn wir Gefühle, Gedanken, Wünsche, Erinnerungen und Erwartungen auf etwas oder jemand anderen übertragen. Zum Beispiel kann das wohlige Gefühl einer vergangenen Beziehung auf jemanden völlig Fremden projiziert, also übertragen werden, mit dem wir dieses Gefühl dann wieder aufleben lassen. Aber auch Negatives wird häufig projiziert, zum Beispiel Eifersucht oder Trennungsangst.

 

Projektion kann besonders leicht passieren, wenn das Gegenüber gewisse Ähnlichkeiten mit der früheren Beziehung hat – vielleicht die braunen Haare, der Sinn für Humor oder die Reiselust, die uns an eine Person von früher erinnert. Oder auch, wenn man noch sehr wenig über das Gegenüber weiß, denn dann hat unser Gehirn eine tolle weiße Leinwand vor sich, auf der es sich austoben kann. Das Problem: Wir finden zunehmend Gefallen an einem Bild, bei dem das Gegenüber zur bloßen Projektionsfläche geworden ist. Als würden wir einen Fernseher kaufen, weil uns das Test-Bild im Laden so gut gefallen hat.

 

Umso größer kann dann die Enttäuschung werden, wenn unsere Erwartungen beim ersten Treffen mit der knallharten Realität kollidieren. Die Person entspricht nämlich oft nicht dem Bild, das wir uns von ihr gemacht haben. Dafür kann sie nichts, und trotzdem reagieren wir etwa mit Wut, Trauer oder Enttäuschung.

Erste Hilfe bei Delusionships und Projektion

Mut zum Reality Check! Klar, intensives Chatten ist toll und am Anfang auch wichtig, um einzuschätzen, ob sich ein Treffen lohnt. Wenn du aber merkst, dass sich Gefühle für das Gegenüber entwickeln (oder dein Gegenüber solche entwickelt haben könnte), solltest du entscheiden, ob ihr euch treffen wollt. So zeichnet nicht eure Fantasie ein vorgefertigtes Bild vom Gegenüber, das zwangsläufig Fehler hat. Stattdessen gebt ihr euch die Möglichkeit, euer eigenes Bild selbst mit Farbe zu füllen – und euch vielleicht auch gegenseitig positiv zu überraschen!

 

Vergiss auch nicht, dass heutzutage sehr viele Beziehungen und auch Ehen durch Online-Dating zustande kommen. Selbst wenn dir also am Weg zu deiner nächsten großen Liebe das eine oder andere unliebsame Dating-Phänomen unterkommt: Es sind nur Zwischenstationen! Der Nächste kann bereits der Richtige sein, und sonst ist’s halt der Übernächste. Viel Spaß und viel Erfolg.

 

Sicherheitshinweise fürs Online-Dating: Lass dir vor dem ersten Date die Telefonnummer deines Gegenübers geben, ebenso den vollen Namen. Informiere Freunde oder Familie über das Date (wann, mit wem und wo). Das erste Date sollte jedenfalls an einem öffentlichen Ort stattfinden (Café, Restaurant, belebter Spazierweg, Einkaufsstraße, Fußgängerzone, ...). Lass dich niemals beim ersten Date auf ein Home-Date ein!

 

Im nächsten Teil unserer Reihe zu den Dating-Phänomenen sehen wir uns einen spannenden Trend an: das Slow Dating.